SABRINA KERN | ANGELA KOCH – Zum gegenwärtigen Umgang mit Denkmälern

Dieser Text erschien in #1 des gfk Magazins zum Schwerpunkt DANACH. Morgen (19.5.) findet ab 18.00 die online Podiumsdiskussion DEKOLONIALE UTOPIEN statt.

maiz-Intervention am Stelzhamer-Denkmal, im Rahmen des Projekts „Volksgarten: von Ablehnung zum Traumplatz“, 2020/ Fotocredit: Sainzaya Tsengel

Am 25. Mai 2020 wurde der 46jährige Afroamerikaner George Floyd in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota von Polizeibeamten getötet. Sein Tod löste erneut heftige Proteste in den USA aus, die sich gegen Polizeigewalt und Rassismus richteten. Die „Black Lives Matter“-Bewegung (BLM) hatte sich schon 2013 nach dem Freispruch des Wachmanns, der Trayvon Martin getötet hatte, gegründet. Im Rahmen der BLM-Proteste wurden seither in den USA und in vielen anderen Ländern zahlreiche Denkmäler gestürzt, demontiert, zerstört, verändert, thematisiert und diskutiert. Betroffen waren und sind v. a. Denkmäler, die Kolonisatoren, Sklavenhändlern, Mördern und Rassisten gewidmet sind. Robert Musils vielbemühtes Zitat „Es gibt nichts auf der Welt, was so unsichtbar wäre wie Denkmäler“ hat offenbar seine Gültigkeit verloren. Der „Streitwert“ der Denkmäler (Gabi Dolff-Bonekämper) tritt derzeit wieder verstärkt in den Vordergrund.

Auch in Österreich gibt es einige problematische, „bewußt gesetzte Merkzeichen verräumlichter Vergangenheitserzählungen“ (Katharina Wegan) im öffentlichen Raum, an denen sich zum Teil jahrelange Diskussionen entspannen. So stehen in Wien Denkmäler für den antisemitischen Bürgermeister Karl Lueger, für den nationalsozialistischen Dichter Josef Weinheber, für den kolonialistischen Naturforscher Carl von Hügel, für den Kolonisator Christoph Columbus und für die sogenannten Trümmerfrauen.

In Linz wurde 2008 die Aphrodite-Statue aus dem Jahr 1942 im Bauernbergpark durch die künstlerische Intervention von Alexander Jöchl stadtbekannt. Sie wurde daraufhin für einige Zeit in den Keller des Stadtmuseums Nordico verbannt, bis sie schließlich in Ausstellungen integriert wieder präsentiert wurde. Auch zum Pionierdenkmal, das im Donaupark deutlich sichtbar platziert ist, werden regelmäßig Kritiken laut, und die KPÖ Linz fordert seit 2010 eine kritische Auseinandersetzung mit diesem „braunen Fleck“ in der Stadt. Das Denkmal ehrt die Mitglieder der Pioniertruppen des Ersten und des Zweiten Weltkriegs. Es wurde von den NSDAP-Mitgliedern Alexander Popp und Wilhelm Frass entwickelt und im Jahr 1936 aufgestellt. Während des Sound Walks „Volksgarten: Von Ablehnung zum Traumplatz“ im Sommer 2020 thematisiert der Verein von und für Migrantinnen maiz das Stelzhamer-Denkmal, das sich an einem Ort befindet, an dem „Arbeitslose, Migrant*innen und Refugees von Frühling bis Herbst präsent [sind] und […] eine soziale Schicht [repräsentieren], die in der Gesellschaft kein Gehör findet“.[1] Franz Stelzhamer ist der Dichter der oberösterreichischen Hymne und gilt als Rassist und Antisemit. Ist er inzwischen deplatziert im „Volksgarten“?

Und die Denkmalsdiskussionen reißen nicht ab, dabei wird immer wieder deutlich, dass künstlerischer, erinnerungspolitischer und zivilgesellschaftlicher Anspruch in Konkurrenz zueinanderstehen. Wer setzt sich durch? Diejenigen, die für die Finanzierung aufkommen?

In Linz werden derzeit einige Mahnmale zur NS-Zeit geplant bzw. realisiert: So gibt es Diskussionen um ein Denkmal für Frauen im Widerstand gegen den NS, und nach einer längeren und heftig geführten Debatte darüber, wie in Linz der jüdischen NS-Opfer gedacht werden kann, hat Andreas Strauss den Gestaltungswettbewerb „Erinnerungszeichen für NS-Opfer in Linz“ gewonnen. 20 Säulen mit Namen ehemaliger als Juden und Jüdinnen verfolgter Bewohner*innen von Linz sollen als klingelnde Mahnmale an verschiedenen Orten in der Stadt aufgestellt werden.

Der beständigste Teil eines Denkmals ist der Sockel.

Die traditionelle Funktion von Denkmälern ist das Bewahren oder Aktivieren einer würdigen Erinnerung. Häufig aber dienen sie der Befriedung von aktuellen Konflikten. Das zeigt, dass Denkmäler gleichzeitig vergangenheits- und zukunftsorientiert sind. Ihre Bedeutung kann sich im Zusammenhang mit gesellschaftspolitischen Ereignissen rasant ändern, wie die BLM-Bewegung gezeigt hat, denn plötzlich fehlen auf den Sockeln Figuren wie Bismarck, Colston, Columbus, Rhodes und andere.

Das wirft viele Fragen auf: Wie soll mit strittigen, problematischen, veralteten, gewaltverherrlichenden, imperialistischen, rassistischen, kolonialen, eurozentristischen Denkmälern verfahren werden? Sollen sie an Ort und Stelle belassen oder entfernt werden? Sollen sie in einem eigens angelegten Denkmal- und Skulpturenpark kritisch kommentiert werden? Sollen sie mit Zusatztafeln versehen und kontextualisiert, oder soll mit künstlerischen, politischen Interventionen eingegriffen werden? Sollen sie einem wilden Gedenken überlassen werden?

Wie soll der urbane Raum gestaltet werden, sollen dort problematische Denkmäler verstauben und neue für neue Kontroversen sorgen? Wem wird von wem gedacht, wer wird von wem geehrt? Wie werden diese Denkmäler ästhetisch-materiell umgesetzt und an welchen Orten werden sie aufgestellt? Was wird überdeckt oder angeeignet, wer wird vergessen, bleibt unberücksichtigt, wird ignoriert und negiert? Wie lässt sich ein Umgang mit diesen Erinnerungslücken finden? Wer braucht überhaupt Denkmäler und wofür?

Goodbye, man on a horse.

Wie Alexandra Vasak festhält, beginnt das Zeitalter des modernen Denkmals mit der Aufklärung. Waren es zunächst Denkmäler für Herrscher*innen und Feldherren, die als Repräsentation von Macht und Herrschaft fungierten, fand im 19. Jahrhundert eine Verbürgerlichung und Ausbreitung der Denkmalskultur im urbanen Raum statt: Das Stadtbild wurde mit versteinerten Künstlern, Entdeckern, Meistern und Wissenschaftlern angereichert – Verdienstdenkmäler für männliche Persönlichkeiten. Das kommentierte Robert Musil schon 1927 pointiert: „Was aber trotzdem immer unverständlicher wird, je länger man nachdenkt, ist die Frage, weshalb […] gerade großen Männern Denkmale gesetzt werden? Es scheint eine ganz ausgesuchte Bosheit zu sein. Da man ihnen im Leben nicht mehr schaden kann, stürzt man sie gleichsam mit einem Gedenkstein um den Hals, ins Meer des Vergessens.“ Weibliche Denkmalsfiguren stellen zumeist allegorische Verkörperungen von abstrakten Ideen dar, nicht aber Individuen.

Ab dem Ersten Weltkrieg erfolgt schließlich der Übergang vom heroisierenden Denkmal zum mahnenden Gedenkmal, dem Kriegerdenkmal, der Gedenkstätte, dem Denkmal für den Unbekannten Soldaten. Waren es vorher die großen Männer, so gilt die Erinnerung nun den toten Soldaten, den Widerstandskämpfern, den Märtyrern. Die Demokratisierung und Pluralisierung des Gedenkens begann erst spät in den 1980er Jahren, wo erstmals Frauen, jüdischen Opfern, Roma und Sinti, Homosexuellen gedacht wurde. Die Erinnerung an die Verbrechen von Kolonialismus, Rassismus, Rechtsradikalismus und deren Betroffene und Opfer, auch an die Betroffenen von hetero/sexistischer Gewalt aber bleibt bis heute eine umkämpfte Leerstelle.

Erinnerung ist dynamisch und prozessual. Wird sie in Denkmälern materialisiert, dann dürfen diese Denkmäler nicht von der Diskussion und Wahrnehmung in der Öffentlichkeit getrennt betrachtet werden. Denkmäler haben – so verstaubt sie auch sein mögen – eine soziale, diskursive Funktion.:

[1] https://vimeo.com/480087809