Sebastian Janata – Der endlos tippende Affe

Sebastian Janata, *1988, stammt aus dem Burgenland. Seit 2006 Mitglied der Band Ja, Panik. (Soeben erscheint deren sechstes Album Die Gruppe) «Die Ambassadorin» ist Janatas Debütroman. Eine Ode an das Matriarchat und die Geschichte eines Antihelden, der unerschrockener kaum sein könnte. Der Autor lebt und arbeitet in Berlin. Die Lesung mit ihm – geplant für den 30. April – wird voraussichtlich auf 9.7. in den „Garten für Danach“ verlegt. Der folgende Text erschien ursprünglich im Falter 52/20, danach im gfk Magazin #1 zum Schwerpunkt DANACH. Der Autor dankt Alina Helal für die lektorische Mitarbeit.

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Es ist spät. Aber zur Herberge ist es nicht weit. Nirgendwohin ist es hier weit. Die Luft zwischen den halb verfallenen Heustadeln und massiven Lagerhallen riecht nach Maische und Traktordiesel. Bin ich noch richtig? Ja, doch, dort ist die Häuserruine, die schon nachmittags diverse Horrorfilm-Fantasien in mir hervorgerufen hatte. Der Anblick der pechschwarzen Fensteröffnungen lässt mich erschaudern. Jeden Augenblick rechne ich mit dem Auftauchen einer verzerrten Fratze. Da bewegt sich etwas hinter mir. Krallen auf Asphalt. Ich stoße einen spitzen Schrei aus und fahre herum, die Bierflasche in meiner Hand zur ohnmächtigen Waffe erhoben. Es ist ein Igel. Langsam, aber so schnell er kann, quert er die Gasse. Er gibt kleine, geplagte Geräusche von sich. Keine Angst, kleiner Igelfreund, ich bin kein Räuber. Weiter.

So beginnt eine Geschichte, die ich nach dem Heimweg von einem Grillabend in kleiner Runde im Juli 2020 geschrieben habe. Obwohl das Virus und die damit verbundenen Einschränkungen natürlich noch stark präsent waren, spürte ich kurzfristig wieder eine gewisse Normalität. Oder besser: eine Subnormalität. Es war wieder möglich Menschen zu treffen, den Schanigarten zu besuchen, am öffentlichen Leben teil zu nehmen. Alles Dinge, die ich nicht nur für mein Wohlbefinden, sondern auch für meine Arbeit brauche. Wie bei den meisten Schreibenden sind es auch bei mir Begegnungen, neue Orte, Gschichtln, die mein Hirn speisen, auf dass es das Erlebte irgendwann in neuer Gestalt wieder ausspuckt.

Im Sommer 2020 konnte ich mein Hirn noch füttern. Jetzt ist mir das Futter schon lange ausgegangen. Alles wirkt gleichförmig, ich fühle mich leer, unterfordert, unterreizt. Viele Menschen in meinem Umfeld berichten ähnliches.

Eigentlich wollte ich schon längst mit der Arbeit am nächsten Roman begonnen haben. Aber mein Hirn scheint verlassen wie der Donaukanal nach 20 Uhr. Was bräuchte ich noch, neben mehr öffentlichem Leben, zum arbeiten? Erstens: einen Platz. Ich arbeite meistens in der Bibliothek oder im Kaffeehaus. Ein Ort zum arbeiten außerhalb der eigenen vier Wände ist für meine Psychohygiene extrem wichtig. Das geht aber schon seit längerem nicht mehr. Zweitens: Geld. Wie die meisten von uns muss auch ich ständig über mein Auskommen nachdenken. Unter der Dusche, beim Spazierengehen, beim Putzen, am Herd, bei Gesprächen mit Freund*innen, und ja, sogar beim Scheißen.

In normalen Zeiten sollte längst eine fix gebuchte Lesereise für 2021 stehen. Bis dato habe ich einen (in Zahlen: 1) bestätigten Lesetermin. Mein zu erwartendes Einkommen für 2021 ist aktuell also dreistellig. Es ist das alte Problem: Mein Gehirn ist so okkupiert von der Sorge, woher die Kohle für die nächste Monatsmiete kommen soll, dass kaum Platz für anderes bleibt. Ich denke, den meisten geht es so. Auf die türkis-grüne Bundesregierung, die in ihrem Totalversagen unverhohlen Kapital- vor Sozialinteressen stellt, können wir nicht zählen.

Im ersten Lockdown – oder Locki, wie ihn eine Berliner Freundin unlängst nannte – fand ich neben all den Ängsten und der Unsicherheit auch Erleichterung. Ich war erleichtert darüber, endlich einmal unproduktiv sein zu können, ohne mir dabei wie ein Stück Dreck vorzukommen. Der letzte Rest Verlagsvorschuss sicherte mir zu dieser Zeit die Miete. Unproduktivität ist wichtig und gesund, kann eine Form von Widerstand sein, aber man muss sie sich natürlich leisten können. Im Unterschied zum ersten Locki kann ich sie mir jetzt nicht mehr leisten. Aber sobald ich mich vor die Tastatur setze ist da nur Existenzangst oder die Leere.

Wie also je wieder etwas Kreatives zustande bringen, bis der Impfstoff – den ich mitsamt der Ampulle auffressen werde – uns endlich erlöst?

Kürzlich bin ich wieder einmal über das Theorem des endlos tippenden Affen gestolpert. Wer es nicht kennt: Es besagt, dass ein Affe, der endlos lange auf einer Tastatur tippt, irgendwann das Gesamtwerk Shakespeares geschrieben haben wird. Vielleicht muss ich mich also weiter in Geduld üben und einfach drauflostippen. Wobei: Im Jahr 2003 platzierten Wissenschafter*innen in England eine Tastatur in einem Käfig mit sechs Makaken. Im Laufe von vier Wochen tippten die Tiere täglich darauf herum. Dabei produzierten sie insgesamt fünf Seiten Text, die hauptsächlich aus dem Buchstaben S bestanden. Darüber hinaus hatten die Affen auch immer wieder mit einem Stein auf die Tastatur eingeschlagen und sich darauf entleert.

Naja, schauen wir mal, wie es bei mir laufen wird.