Dass der Schwerpunkt ANGST diesmal gleichzeitig aktuell wie zeitlos ist, scheint sich von selbst zu erklären – alle haben sie irgendwie oder meinen sie haben zu müssen. Zeit jedenfalls, sich die Angst und ihre Erzeuger und Propagandisten genauer anzusehen. Dazu wollen wir mit den Beiträgen im aktuellen Magazin und dem Herbstprogramm anregen, das am 27. September mit Politics of Fear (eine Kooperation mit dem afo architekturforum oö und Social Design) gestartet ist. 9 Studierende errichteten am Herbert Bayer Platz eine begehbare Skulptur – einen schwarzen Würfel – in den sie zwei Tage lang Passanten einluden. Angst aufschreiben und abgeben, über Angst sprechen – aber auch auf Ängste anderer reagieren konnte man da. Danke allen Beteiligten und Interessierten für diesen schönen, intensiven Auftakt!
Danke auch den freundinnen der kunst, die sich ebenfalls aktuell mit Angst beschäftigen und am 27.9. in direkter Nachbarschaft mit den Studierenden ihre erste Intervention aus der vierteiligen Reihe „Die Beule, die mittendrin sitzt“ umsetzten.
(fotocredits: reinhard winkler)
Weiter geht es am 6.10. mit einem Hörspaziergang mit Schallkünstlerund Komponist Peter Androsch. Dessen Text zum Schwerpunkt haben wir unabsichtlich im Magazin beschnitten – wir bedauern zutiefst und dürfen ihn hier noch einmal zur Gänze und auf Wunsch des Autors auch ohne Änderungen seitens des Lektrats veröffentlichen:
DIE EINFACHSTE ÜBUNG
– von Peter Androsch
Die einfachste Übung für Filmemacher ist die Angst. Denn es spielt fast keine Rolle, welches Bild zu sehen ist, wenn der „Ton“ paßt. Wobei für Filmemacher alles Ton ist, was hörbar ist. Bei näherer Betrachtung sind Töne alle akustischen Ereignisse, deren Tonhöhe feststellbar ist. (Im Gegensatz zu den Geräuschen, deren Tonhöhen aus verschiedenen Gründen nicht eruiert werden können.) Also was im Film – hier als Synonym für alle audiovisuellen Medien verwendet – schlicht Ton heißt, umfaßt Sprache, Dialog, Kommentar, Geräusche, Atmosphären und Musik.
Eine der – bei den Studenten – beliebtesten Übungen in meinen Seminaren war immer, ein an sich unverfängliches, harmloses bewegtes Bild mit Angst aufzuladen. Das geht ganz einfach, weil das Visuelle immer vom Ton mit Bedeutung aufgeladen wird. Denken Sie an eine wunderbare Frühlingslandschaft, zu der die Vöglein zwitschern. Da werden Sie sich wohlig zurücklehnen. Denken Sie aber noch einmal an die gleiche Frühlingslandschaft und diesmal hören Sie dazu einen sehr hohen Geigenton, dann werden Sie schnell dem Bild mißtrauen und böse Ahnungen in sich aufsteigen fühlen.
Auch wir ahnen schon, daß dieser Kunstgriff einen erheblichen Anteil am Erfolg der Unterhaltungsindustrie hat, sei es in Film, Fernsehen, Internet und vor allem Spielen – überall, wo es um Audiovisuelles geht. Angst und Angstlust gehören eng zusammen und haben zum Großteil mit dem Hören zu tun. Denn dem Gehörten können wir fast nichts entgegensetzen.
Wir hören rund um die Uhr, wir hören ab der 20. Schwangerschaftswoche, und das durchgehend bis zu unserem Tod. Ohne Pause. Ohrenlider sind uns nicht gegeben. Ununterbrochen liefern die Ohren Informationen aus dem eindringenden Schall an das Gehirn. Wenn wir all das wirklich hören und wahrnehmen würden, dann kämen wir rasch in die geschlossene Abteilung. Um das zu verhindern, filtert das Gehirn den überwiegenden Teil des Gehörten weg, es schiebt ihn in unbewußte Sphären. Wer das nicht mehr kann, und wirklich (fast) alles wahrnimmt, der hat die schwere Krankheit Hyperakusis, das sogenannte Über-Hören (sic!).
Warum hören wir denn tatsächlich immer? Phylogenetisch betrachtet ist der Hörsinn der erste Überlebens- und Warnsinn. Er erfüllt diese Aufgabe, indem er die Analyse des Gehörten dem Bewußten entzieht. Kein anderer unserer Sinne ist auf Gefahren so geschärft und so schnell und rigide programmiert. Während die Sprachwahrnehmung im relativ engen Frequenzbereich von ca. 500 bis 3.000 Hertz stattfindet, hören wir weit darüber hinaus: von 20 bis 20 Tausend Hertz. Unter und über dem Sprachbereich liegen die akustischen Signale für Gefahren: Feuer, Blitze, Zischen und Brüllen gefährlicher Tiere, hohe Geschwindigkeiten, Sturm, alles, was quietscht, Donner, Erdbeben, Erdrutsche, laufende Tierherden … die Liste kann recht heutig fortgesetzt werden mit LKWs, Bomben, Flugzeuge, Bremsgeräusche, Warnsignale, Maschinengeräusche, Lüftungssausen, das Surren der Kühlaggregate, Zahnarztbohrer etc.
Darauf reagieren wir reflexartig mit der Ausschüttung von Streßhormonen wie Cortisol. Das soll uns sekundenschnell bereit machen für die Flucht. Durch das Davonlaufen würden die Hormone wieder abgebaut.
Es gibt noch weitere akustische Konstellationen, die den Streßmotor auslösen. Die werden auch alle künstlerisch oder unterhaltungsindustriell genutzt und zeichnen sich vor allem durch Disparitäten aus, wie große Ungleichheiten in der akustischen Morphologie (laut-leise, langsam-schnell, hoch-tief, vorne-hinten). Oder in der Raumwahrnehmung: Da Schall uns über alles informieren soll, was wir nicht sehen können – und das ist sehr viel, weil das Auge ja nur einen sehr kleinen Teil des dreidimensionalen Raumes fokussiert, tasten wir unbewußt akustisch ununterbrochen alles „hinter unserem Rücken“ ab. Jede unbekannte Regung löst den Alarmzustand aus.
Kurz gefaßt: Gleichbleibende akustische Umgebungen machen uns sicher. Abweichungen davon in Frequenz, Morphologie, Geschwindigkeit und Räumlichkeit lösen in unterschiedlichem Maß Angst und Fluchtbereitschaft aus. Hier trifft das Wort Angst tatsächlich zu, weil sie diffus und nicht gerichtet ist. Diese anthropologischen Gegebenheiten eröffnen wunderbare künstlerische Werkzeuge, Manipulationsmöglichkeiten im wörtlichen Sinne.
Andererseits stehen der Unterhaltungsindustrie damit subtile Mittel zur Verfügung, in Spielen und anderen Anwendungen suchtähnliche Prozesse und Abhängigkeiten auszulösen. Der Hörvorgang ist ein großteils unbewußter Vorgang, der den Menschen in tiefsten Schichten beeinflußt. Nicht ohne Grund heißt es audiovisuelle Medien, also Hörensehenmedien und nicht Sehenhörenmedien.
- August 2016