Beim ersten Hörspaziergang mit Peter Androsch führte uns der Komponist und Schallkünstler an Orte in Linz, an denen aufgrund von verfehlter Stadt- und Verkehrsplanung oder / und Baumaterialien kaum Hör- und Sprechverständlichkeit vorherrscht. Ein spannender, erkenntnisreicher Rundgang mit wenngleich teils ernüchternden Einsichten. Diesmal führt uns Androsch durch Linz und verdeutlicht den Zusammenhang von Schall und Angst – unserem Herbst-Schwerpunkt. An welchen Plätzen, in welchen Ecken und Durchgängen kriecht uns der Schauer übers Gnack und was hat Akustik damit zu tun? Bitte unbedingt verbindlich anmelden bzw. absagen, falls etwas dazwischen kommt.
Peter Androsch: Diverse Ausbildungen, Arbeits- und Studienaufenthalte und Tourneen in Europa, Afrika und den USA. Seit Beginn der 1990er Jahre intensive kompositorische Tätigkeit in den Feldern Musiktheater, Multimedia, Orchester, Kammermusik, Chor, Elektroakustik, Bühnen-, Filmmusiken (z.B. „Hasenjagd“). Zahlreiche Veröffentlichungen und Auszeichnungen. 2012 Nominierung zum deutschen Bühnenkunstpreis „Faust“ mit der Kinderoper „Freunde!“ an der Staatsoper Hannover. Seit 2003 Lehrbeauftragter an der Universität für Gestaltung Linz. Von 2006 bis 2010 Musikalischer Leiter von Linz 2009 Kulturhauptstadt Europas. Hier Gründer und Leiter von Hörstadt. Lebt in Linz.
Aktuell widmet die Stadt Regensburg Peter Androsch eine umfassende Schau seiner Phonographien in der Minoritenkirche im Historischen Museum (bis Oktober 2016).
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Leider ist uns bei Peter Androschs Textbeitrag für das Magazin ein großer Fehler passiert: wir haben ihn unabsichtlich gekürzt – das tut uns sehr leid und wir bitten den Autor und Sie als Leserinnen und Leser um Verzeihung. Hier nun der gesamte Text nachgereicht (und auf ausdrücklichen Wunsch des Autors auch ohne Eingriffe seitens des Lektorats):
DIE EINFACHSTE ÜBUNG
– von Peter Androsch
Die einfachste Übung für Filmemacher ist die Angst. Denn es spielt fast keine Rolle, welches Bild zu sehen ist, wenn der „Ton“ paßt. Wobei für Filmemacher alles Ton ist, was hörbar ist. Bei näherer Betrachtung sind Töne alle akustischen Ereignisse, deren Tonhöhe feststellbar ist. (Im Gegensatz zu den Geräuschen, deren Tonhöhen aus verschiedenen Gründen nicht eruiert werden können.) Also was im Film – hier als Synonym für alle audiovisuellen Medien verwendet – schlicht Ton heißt, umfaßt Sprache, Dialog, Kommentar, Geräusche, Atmosphären und Musik.
Eine der – bei den Studenten – beliebtesten Übungen in meinen Seminaren war immer, ein an sich unverfängliches, harmloses bewegtes Bild mit Angst aufzuladen. Das geht ganz einfach, weil das Visuelle immer vom Ton mit Bedeutung aufgeladen wird. Denken Sie an eine wunderbare Frühlingslandschaft, zu der die Vöglein zwitschern. Da werden Sie sich wohlig zurücklehnen. Denken Sie aber noch einmal an die gleiche Frühlingslandschaft und diesmal hören Sie dazu einen sehr hohen Geigenton, dann werden Sie schnell dem Bild mißtrauen und böse Ahnungen in sich aufsteigen fühlen.
Auch wir ahnen schon, daß dieser Kunstgriff einen erheblichen Anteil am Erfolg der Unterhaltungsindustrie hat, sei es in Film, Fernsehen, Internet und vor allem Spielen – überall, wo es um Audiovisuelles geht. Angst und Angstlust gehören eng zusammen und haben zum Großteil mit dem Hören zu tun. Denn dem Gehörten können wir fast nichts entgegensetzen.
Wir hören rund um die Uhr, wir hören ab der 20. Schwangerschaftswoche, und das durchgehend bis zu unserem Tod. Ohne Pause. Ohrenlider sind uns nicht gegeben. Ununterbrochen liefern die Ohren Informationen aus dem eindringenden Schall an das Gehirn. Wenn wir all das wirklich hören und wahrnehmen würden, dann kämen wir rasch in die geschlossene Abteilung. Um das zu verhindern, filtert das Gehirn den überwiegenden Teil des Gehörten weg, es schiebt ihn in unbewußte Sphären. Wer das nicht mehr kann, und wirklich (fast) alles wahrnimmt, der hat die schwere Krankheit Hyperakusis, das sogenannte Über-Hören (sic!).
Warum hören wir denn tatsächlich immer? Phylogenetisch betrachtet ist der Hörsinn der erste Überlebens- und Warnsinn. Er erfüllt diese Aufgabe, indem er die Analyse des Gehörten dem Bewußten entzieht. Kein anderer unserer Sinne ist auf Gefahren so geschärft und so schnell und rigide programmiert. Während die Sprachwahrnehmung im relativ engen Frequenzbereich von ca. 500 bis 3.000 Hertz stattfindet, hören wir weit darüber hinaus: von 20 bis 20 Tausend Hertz. Unter und über dem Sprachbereich liegen die akustischen Signale für Gefahren: Feuer, Blitze, Zischen und Brüllen gefährlicher Tiere, hohe Geschwindigkeiten, Sturm, alles, was quietscht, Donner, Erdbeben, Erdrutsche, laufende Tierherden … die Liste kann recht heutig fortgesetzt werden mit LKWs, Bomben, Flugzeuge, Bremsgeräusche, Warnsignale, Maschinengeräusche, Lüftungssausen, das Surren der Kühlaggregate, Zahnarztbohrer etc.
Darauf reagieren wir reflexartig mit der Ausschüttung von Streßhormonen wie Cortisol. Das soll uns sekundenschnell bereit machen für die Flucht. Durch das Davonlaufen würden die Hormone wieder abgebaut.
Es gibt noch weitere akustische Konstellationen, die den Streßmotor auslösen. Die werden auch alle künstlerisch oder unterhaltungsindustriell genutzt und zeichnen sich vor allem durch Disparitäten aus, wie große Ungleichheiten in der akustischen Morphologie (laut-leise, langsam-schnell, hoch-tief, vorne-hinten). Oder in der Raumwahrnehmung: Da Schall uns über alles informieren soll, was wir nicht sehen können – und das ist sehr viel, weil das Auge ja nur einen sehr kleinen Teil des dreidimensionalen Raumes fokussiert, tasten wir unbewußt akustisch ununterbrochen alles „hinter unserem Rücken“ ab. Jede unbekannte Regung löst den Alarmzustand aus.
Kurz gefaßt: Gleichbleibende akustische Umgebungen machen uns sicher. Abweichungen davon in Frequenz, Morphologie, Geschwindigkeit und Räumlichkeit lösen in unterschiedlichem Maß Angst und Fluchtbereitschaft aus. Hier trifft das Wort Angst tatsächlich zu, weil sie diffus und nicht gerichtet ist. Diese anthropologischen Gegebenheiten eröffnen wunderbare künstlerische Werkzeuge, Manipulationsmöglichkeiten im wörtlichen Sinne.
Andererseits stehen der Unterhaltungsindustrie damit subtile Mittel zur Verfügung, in Spielen und anderen Anwendungen suchtähnliche Prozesse und Abhängigkeiten auszulösen. Der Hörvorgang ist ein großteils unbewußter Vorgang, der den Menschen in tiefsten Schichten beeinflußt. Nicht ohne Grund heißt es audiovisuelle Medien, also Hörensehenmedien und nicht Sehenhörenmedien.
- August 2016