Es braucht Leerräume

ES BRAUCHT LEERRÄUME

Tomá Ivanov – er tritt am 17. März im Central auf – ist ein künstlerisches Multitalent. 1984 in eine sehr musikalische Familie geboren, wechselt er zwischen Genres, Projekten und Herausforderungen. Mit 11 bekam er seine erste Gitarre und begann mit dem Komponieren. Studiert hat er aber unter anderem Medientechnologie und technische Mathematik, bevor er mit 28 Jahren an der Bruckner Privatuniversität das Studium Komposition mit Schwerpunkt Jazzgitarre begann. In der aktuellen Formation TOMÁ vereint Ivanov nach einem international erfolgreichen Clubprojekt, Songs für Theater und Film (etwa kürzlich gemeinsam mit Daniel Bierdümpfl und Sophie Vierbauch für den Film „Nicht die Regel“)und experimentellen Projekten die Genres Jazz, Pop, Lo-Fi mit hohen Ansprüchen – vor allem an sich selbst. Erschöpfung kennt er nicht, vielleicht auch deshalb, weil er die Langeweile und das Nichts so schätzt.

WH        Du klingst nach einem Menschen, der nicht schnell erschöpft ist …

TI           Das stimmt eigentlich, ich will eher meine Grenzen ausloten.

WH        Unabhängig von Dir selbst, wie empfindest Du die aktuelle Qualität der Zeit? Rundum scheint doch alles erschöpft – inklusive des ganzen Planeten?

TI           Ich glaub, man muss aktuell sehr belastbar sein, sehr viel aushalten, auch geistig, emotional und sozial, das war davor anders – davor wars eher slow pace, in den 60er, 70er Jahren in Europa zum Beispiel – da hast Du diesen Vergleichsfaktor nicht so gehabt wie jetzt – jetzt schmiert sich alles zusammen, auch in der Kultur, man orientiert sich nicht mehr an nationalen Größen, es ist alles international, man orientiert sich an den besten – das erzeugt auch ungeheuren Druck.

WH        Du meinst, durch die Verfügbarkeit an mehr Input steigt das Bedürfnis, sich zu vergleichen?

TI           Das sieht man ja an diesen Influencern – deshalb gibt’s ja auch so viele depressive Teenager mit einem gestörten Körperbewusstsein, weil sie sich vergleichen, mit inszenierten Situationen und fotogeshoppten Körpern. Dabei sind das immer nur Momentaufnahmen. Das ist in der Musik natürlich auch so, generell im künstlerischen Bereich.

WH        Also, man fragt sich, ob man überhaupt noch was beitragen kann?

TI           Genau. Und gleichzeitig ist es schwer, dass sich eine eigenständige Szene ausbildet, das war früher leichter. Das hatte auch Vorteile – und das fehlt heute…  wie hat es Peter Handke genannt: das Fremde zu träumen, hinter den Grenzen[1]. Aber jetzt ist alles eine Welt, jetzt hat man das Gefühl, es ist eh alles das Gleiche. Ich komm aus Bulgarien, bis zu meinem 5. Lebensjahr bin ich dort aufgewachsen, danach war ich die ganzen Sommerferien dort, bis ich so 11, 12 Jahre alt war und ich kann mich gut daran erinnern, wie es auf einmal die Billa-Filialen, und Sparfilialen gab und alles sah aus wie überall …
Es ist ein Paradigmenwechsel, eine neue Zeit, aber man kann und soll ja auch nicht zurück.

WH        Hast Du Orte, in die Du dich zurückziehen kannst, an denen du dich abgrenzen oder isolieren kannst?

TI           Klassischerweise die Natur und Berge. Berge sind ja generell so ein bissl unerreichbar… ich finde auch den Ausdruck Gipfelstürmer kontraproduktiv, weil da geht’s genau um das Gegenteil, dass man gar nicht an den Gipfel denkt. Es geht ums Gehen, und dass diese Verstandesdinge runtergefahren werden. Ich glaub das braucht man, das tankt einen wieder auf. So kann man extrem gegen die Erschöpfung arbeiten.

WH        Ein Punkt ist aber auch – was tut eine Gesellschaft, wenn zu viele Menschen erschöpft sind, also einfach nicht mehr können.

TI           Ja, tatsächlich glaub ich, wenn man in die Natur geht, das erzeugt Ruhe, das gibt Kraft. Man muss Momente schaffen, in denen man was tut, aber ohne produktiv zu werden. Da muss ich wieder an Peter Handke denken, er sagt, wir sind so Aktivkapseln[2]. Er schätzt so die Langeweile – ein schönes Wort, die lange Weile – den Müßiggang, das ist ja komplett verloren gegangen. Jeder will produktiv sein. Aber wenn man davon ausgeht, dass es wirklich etwas gibt, was originell ist, ist es das, was aus dem Nichts entsteht, und dazu braucht man die Leerräume, das Nichts. … Selbst wenn es jetzt große Differenzen gibt im politischen Spektrum – aber den meisten ist klar, es muss sich was verändern, es kann nicht so weitergehen – dieses Wirtschaftssystem, das ständig nur auf Wachstum ausgerichtet ist. Und das ist so ein Mindset selbst bei Künstlern, noch stärker vielleicht am US-amerikanischen Kontinent, viele begreifen sich gar nicht mehr als Künstler, sondern als Marke, mit der sie Business machen; es ist der Zeitgeist und man muss da gleichzeitig auch mitmachen. Aber es ist nicht die Zukunft.

WH        Was wäre ein Zukunftsbild? Wie könnte es weitergehen?

TI           Dieses Wirtschaftssystem hat ja gleichzeitig eine extreme Dynamik reingebracht, im technologischen Bereich, und auch im künstlerischen und kreativen Bereich – aber mittlerweile gehen wir kollektiv in Richtung Burnout, auch was das ökologische System betrifft, da liegen so viele Dinge im Argen – diese Absurdität, dass man Sachen produziert, die keiner braucht, wir brauchen ja nichts mehr. Aber wir machen weiter, weil wir nichts anderes als dieses bizarre System gewohnt sind.

WH        Auch, weil wir in Lohnarbeit festhängen.

TI           Genau – dabei sind das ganz alte Fragen, die unbeantwortet bleiben. Es gab vor 100 Jahren schon Ökonomen, die sich damit auseinandergesetzt haben, wie viele Stunden Arbeit eigentlich notwendig sind, damit man den Status Quo aufrechterhalten kann, das sind nicht viele. Und jetzt, mit den aktuellen technischen Möglichkeiten – das wäre ein minimaler Anteil. Arbeitszeit ist ein sehr wichtiges Thema – das Problem ist ja, dass die Arbeit, die wirklich wichtig ist, am wenigsten wertgeschätzt und entlohnt wird – das ist doch absurd, es sollte genau das Gegenteil sein. Grundsicherung, die muss kommen, aber sie muss gekoppelt sein an bestimmte Dinge, es geht nicht nur um Kaufkraft – auch das gehört zu einer Utopie. Aktuell wird alles ökonomisiert, das Rechtssystem, der Bildungsbereich – das kann aber doch nicht sein, dass zum Beispiel eine Firma wie Monsanto sich Immunität erkauft, dass der Kapitalismus in unser Rechtssystem hineinspielt – diese Systeme sollten unbeeinflussbar sein.

WH        Du bist 1984 geboren – du hast Kommunismus noch erlebt, also ein ganz anderes System …

TI           Ja, ich kann mich ja gut erinnern – mein Vater hat am Theater gearbeitet und alte Platten gesammelt und sich generell für westliche Kultur interessiert – unser Nachbar, ein staatshöriger Genosse, der hat ihn angezeigt, weil er geglaubt hat, mein Vater dealt mit irgendwas, also ist die Staatspolizei mitten in der Nacht gekommen, um die Wohnung zu durchsuchen. … Meine Eltern haben das später ein bissl romantisiert, obwohl sie darunter gelitten haben, aber es war trotzdem in vielen Bereichen vielleicht menschlicher, zumindest waren wir alle im selben Boot. Gleichzeitig aber hat es eine Kaste gegeben, die extrem profitiert hat auf Kosten der anderen. Ich glaub nicht, dass eine Gesellschaft über einen zentralistischen Apparat funktionieren kann, der alles regelt, der Freiheit unterdrückt, ich glaub, dass das eher über assoziative, dezentrale Systeme organisiert werden kann.

WH        Wie ein Organismus?

TI           Ja und dass man aus eigener Verantwortung, in einem Unternehmen sich ethische Regeln auferlegt – das müsste jedes Unternehmen machen, alle müssen beteiligt werden am Gewinn, das würde auch innerhalb des Unternehmens eine ganz andere Dynamik reinbringen,

WH        Aber ist das nicht wieder bloß ein kapitalistischer Trick?

TI           Das kommt aufs Bewusstsein drauf an … natürlich ist das eine Utopie, aber so stell ich mir das vor, ein organisches, gemeinsames Arbeiten. Wir brauchen ein System, das die individuelle Verantwortung stärkt, aber auch ein gemeinsames Bewusstsein. Anders geht es nicht.


[1] Tomá Ivanov zitiert den Autor in einem zdf-nachtstudio Gespräch, 2008

[2] Ebd.