Dieser Tage schwirrt es wieder durch social media: das Missverständnis der Notwendigkeit zur Differenzierung zwischen Politik und Kunst bzw. zwischen der ohnehin fragwürdigen Konstruktion von „guter“, „reiner“ Kunst im künstlich herbeigeführten Dilemma mit der politischen Haltung ihrer Produzent:innen. Die Opernsängerin Anna Netrebko fühlt sich bemüßigt zu erwähnen, sie sei als Künstlerin lieber unpolitisch und wolle sich zwar vom Krieg, nicht aber von Putin als Aggressor und Diktator abgrenzen. Überhaupt sei es „nicht richtig“, Künstler:innen zu „zwingen, ihre politische Meinung kundzutun“ („forcing artists, or any public figure, to voice their political opinions in public and to denounce their homeland is not right.“[1]) Weder ist die Sängerin zu diesem Statement auf facebook – hoffentlich – gezwungen worden noch muss jemand sein Heimatland verurteilen, wenn es doch „bloß“ eine Abgrenzung von einem braucht, der gerade ohne Not ein Nachbarland überfallen hat. Ihre Äußerung könnte also politischer kaum sein, so wie die Äußerungen all jener, deren lautes Schweigen zu jeder Zeit ein unerträgliches, politisches Statement war, immer mit weitreichenden Folgen für andere – Und damit sind nicht jene Schwurbler:innen gemeint, die Österreich seit Monaten tyrannisieren mit ihrem völlig ungerechtfertigten, unsäglichen „Diktatur“-Gegröle – sondern diejenigen, die verschleppt, eingesperrt, ermordet, verjagt wurden, geduldet von Menschen, die „lieber unpolitisch“ gegenüber Diktatoren und Invasoren geblieben sind. Und wenn eine sehr privilegierte, weltweit bekannte Künstler:in sich bemüßigt fühlt, über ihr überaus politisches Schweigen öffentlich zu berichten, weiß sie hoffentlich, was sie damit tut und welche Signale sie aussendet.
Es tut der Kunst keinen Abbruch, wenn deren Protagonist:innen ihr Demokratieverständnis klar äußern und ihre Verhältnis zu Diktatoren und Autokraten klar benennen. Das hat es noch nie. Die Kunst leidet nicht, wenn Künstler:innen sich von Diktatoren abgrenzen. Und gleichzeitig ist Schweigen eine der politischsten Äußerungen überhaupt. Kunst und Kultur waren zu jeder Zeit politisch, wurden politisch instrumentalisiert und mussten (und müssen) sich aus (partei)politischen Instrumentalisierungen befreien, allerdings nicht, indem sie sich als unpolitisch begriffen haben, sondern, indem sie ihre politische Verantwortung reflektieren, diskutieren und wahrnehmen.
Kunst war immer politisch, sie war immer Bestandteil einer politischen Machtordnung und das Erleben, das Sehen und Hören von Kunst stets Ausdruck von Zugehörigkeit, Repräsentation, fehlender oder bestehender Möglichkeiten der Partizipation, schlicht: Politik.
Und im Übrigen: wenn einer ohne Not ein Nachbarland überfällt, einen Krieg anzettelt, Städte und Menschen bombardiert und mit Atomwaffen droht, ist es völlig wurst, wie bekannt jemand ist oder welchen Beruf jemand hat – dann ist es einfach nur menschlich, diesen einen so laut man kann zu verurteilen.
(wkh)