Dieser Text von Tobias HUMER ist im aktuellen gfk Magazin zum Schwerpunkt Störung erschienen. Das Heft kann angefordert werden, wir schicken es gerne kostenlos zu: info@gfk-ooe.at, zur Veranstaltung am 23.2. gehts hier
Störung der Ordnung
Seit 2006 werden intergeschlechtliche Menschen mit der medizinischen Diagnose „Störungen der Geschlechtsentwicklung“ (DSD, Disorders of Sex Development) klassifiziert. Dadurch wird sehr klar vermittelt, dass etwas nicht in Ordnung sei, dass eine krankhafte Abweichung vom Normalzustand vorliege, dass diese Menschen nicht gesund seien – und so scheint es für viele weiterhin gerechtfertigt, dass schwerwiegende Behandlungen vorgenommen werden, obwohl sie medizinisch de facto nicht notwendig sind.
Im selben Jahr feierte die Dokumentation „Tintenfischalarm“ von Elisabeth Scharang Premiere, in der die Regisseurin die Inter*Person Alex Jürgen bei der Aufarbeitung der eigenen Lebensgeschichte begleitet hat. Damit wurde das Thema schon das zweite Mal in der österreichischen Öffentlichkeit präsent (das erste Mal war der Trubel um Schifahrer/in Erik/a Schinegger in den Achtzigern). Der Film machte recht deutlich, welche Auswirkungen die Pathologisierung und Medikalisierung auf Betroffene hat, und er hat so manche Menschen wachgerüttelt.
Sieben Jahre lang war dann wieder Ruhe, aber nur an der Oberfläche. In der Zeit wurden erste Selbsthilfetreffen organisiert, kritische Texte und einige gute wissenschaftliche Arbeiten geschrieben – ein paar Leute haben sich wohl darauf vorbereitet, kompetente Störenfriede zu werden. Im Jahr 2013 schließlich war es soweit und zwei Geschichten kamen parallel ins Rollen: Die Gründung der Plattform Intersex, mit der ersten Intersex Solidarity Day Veranstaltung in Salzburg, und das erste Treffen zwischen Alex Jürgen und mir – der Auftakt zur Gründung des Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich im Februar 2014.
Seitdem sind also fünf Jahre vergangen, voll von Selbstoffenbarungen, Sichtbar-Werden, Vernetzen, Sensibilisieren, Schärfen der eigenen Standpunkte, Anschreien gegen den Status Quo, langsamem Einfluss-Gewinnen, Identifizieren von Schwierigkeiten, Finden von neuen Mitstreiter*innen, Schaffen von Allianzen. Fünf Jahre organisierter Inter*Aktivismus eben, fünf Jahre Störung der starren Zwei-Geschlechter-Ordnung und gleichzeitiges Aufklären darüber, dass wir keine Störungen haben, sondern dass wir gesund sind und nur ein Ausdruck der natürlichen Vielfalt, und dass wir keine Behandlungen brauchen
Es ist für uns also Zeit, unsere Anstrengungen zu feiern und uns bei unseren Wegbegleiter*innen und Unterstützer*innen zu bedanken. Alleine schafft mensch ja bekanntlich wenig, und wir können mit Freuden sagen, dass wir großartige Unterstützung erfahren haben. Kooperationspartner*innen, Fördergeber*innen, Allies, Spender*innen, helfende Hände und unermüdliche Redner*innen für unsere Sache – gemeinsam haben wir schon viel geleistet.
Die aktuelle Umsetzung des dritten Geschlechtseintrags in Österreich zum Beispiel ist nur eine der Errungenschaften – und für uns gleichzeitig wieder eine Aufforderung zu handeln, denn laut Erlass des Innenministeriums ist die antragstellende Person verpflichtet, die körperliche „Störung“ mit ärztlichen Gutachten zu beweisen. Das bedeutet eine Fortsetzung der Pathologisierung und Fremdbestimmung, der erneuten Schikane bereits traumatisierter Menschen und des Abdrängens eines sozialen Themas in die Medizin. Da müssen wir leider weiter stören.
TOBIAS HUMER hat den Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich (VIMÖ) sowie die Plattform Intersex mitbegründet und ist dort seit mehreren Jahren in unterschiedlichster Form aktiv.