von Siegi Janko
Ein Teil der Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen kann aufatmen. Endlich kann es für sie wieder losgehen, endlich wieder Publikum. Für zahlreiche Kulturbereiche wie Rockkonzerte, Clubkultur und andere ist aber noch immer (noch lange) kein „normaler“ Publikumsbetrieb möglich. Viele Veranstalter:innen und Kulturvereine sind noch weit weg von der viel zitierten Normalität. Können die Folgen des monatelangen Lockdowns (schnell) überwunden werden? Wird das Publikum wieder kommen oder bei Netflix und Amazon „gefesselt“ bleiben? Werden die Unterstützungsleistungen ausreichen, um den Ausfall der Einnahmen und die Verluste für Künstler:innen, Kultureinrichtungen und Kulturinitiativen auszugleichen? Ganz viele Fragen und Unsicherheiten werden unser Kulturleben und das Veranstalten noch lange begleiten und erschweren.
Es wäre nun der richtige Zeitpunkt, eine generelle Diskussion über die Zukunft von Kunst und Kultur zu führen. Welche Rahmenbedingungen, Strukturen und Budgetmittel braucht es, um in Österreich langfristig eine blühende Kulturlandschaft sicherzustellen? Wie kann das Kulturland Österreich gerechte und angemessene Arbeits- und Lebensbedingungen für seine Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen garantieren?
In der derzeitigen politischen Landschaft wird eine derartige Diskussion gar nicht erwünscht sein. Wir mussten in den letzten Monaten ernüchternd feststellen, dass Kunst und Kultur auf der Liste der politischen Prioritäten ganz hinten angesiedelt sind. Und innerhalb des Spektrums der Kultur finden zeitgenössische Kunst und regionale Kulturarbeit noch einmal weniger Wertschätzung. Der oberflächliche und abwertende Politsprech von „Kulturverliebtheit“ oder „Kultur als nette Freizeitbeschäftigung“ zeigt ja deutlich die Ahnungslosigkeit und Ignoranz mancher Politiker gegenüber Kunst und Kultur.
Geben wir uns keiner Illusion hin: Kunst und Kultur werden auf der Prioritätenliste der Politik auch nach Corona in der Rubrik „unwichtig“ bleiben! Es kann sich nur ändern, wenn alle Künstler:innen, Kulturarbeiter:innen, Kulturaktivist:innen und Kulturinteressierten den vielbeschworenen „Neubeginn“ nutzen, um eine gezielte Kampagne für die Zukunft von Kunst und Kultur zu starten. Es muss ein breiter Diskurs über den Wert von Kunst und Kultur für unser Gemeinwesen generell und die Lebensqualität der Menschen im Besonderen initiiert werden. Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen müssen die Bedeutung und den Wert ihrer Arbeit selbst definieren und klarstellen.
Sie müssen aufstehen und einen Forderungskatalog für eine gesicherte Zukunft von Kunst und Kultur in Österreich durchsetzen.
Kunst und Kultur spielen in Österreich als Kulturland nicht nur eine identitätsstiftende Rolle, sie sind auch ein wesentlicher Wirtschaftsfaktor. Der Anteil der Kulturbranche am Bruttoinlandsprodukt (BIP) ist immerhin höher als der Anteil der Landwirtschaft. Es ist also schon aus volkswirtschaftlicher Sicht sinnvoll, eine blühende Kulturlandschaft zu ermöglichen. Kulturförderung ist Strukturpolitik und direkte Wirtschafts- und Arbeitsplatzförderung.
Oder denken wir an die Entwicklung der Städte, in denen jetzt schon mehr als 50 Prozent der Weltbevölkerung leben. In der Stadt der Zukunft wird sich entscheiden, ob technologische Innovationen mit sozialem und kulturellem Verhalten in Einklang gebracht werden können. Das darf nicht Google und Co. überlassen werden. Das erfordert mutige neue Ideen, kühne Gedanken und soziale Verantwortung. Die Phantasie, Kreativität, Entdeckungslust und Experimentierfreude von Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen sind unverzichtbare Potenziale bei der Bewältigung dieser gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Herausforderungen.
Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen haben in den letzten Monaten so viel Neues gestartet, erfunden und ausprobiert. Sie haben neue Ideen geboren, Konzepte und Überlebensstrategien entwickelt. Sie haben der digitalen Welt einen kulturellen menschlichen Rahmen gegeben.
Dieses Potenzial von Kunst und Kultur, die Kraft und Kompetenz der Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen muss genutzt und gefördert werden. Es ist Aufgabe von Bund, Land und Kommunen, diesen Prozess durch ganz gezielte Projektaufträge, Förderungen und die Schaffung entsprechender Strukturen zu initiieren und voranzutreiben. Damit kann auch der Transfer in alle anderen Bereiche der Gesellschaft sichergestellt werden.
Das „Zukunftskonzept Kunst und Kultur“ erfordert einen breiten Diskurs über die Bedeutung, Notwendigkeit und den Wert von Kunst und Kultur für unser Gemeinwesen. Das setzt die Bereitschaft der Politik voraus, sich auf diese Diskussion ernsthaft einzulassen. Kunst und Kultur müssen zu einem Fixpunkt auf der täglichen Agenda auf allen Ebenen der Politik werden. Warum nicht eine nächste Landesausstellung zu diesem Thema veranstalten?!
Die wesentlichste Voraussetzung, um diese Anforderungen und Ziele erfüllen zu können, ist eine deutliche und nachhaltige Erhöhung des Kulturbudgets auf allen Ebenen unseres Staates. Es muss ein Wert erreicht werden, der der Bedeutung von Kunst und Kultur für die Kulturnation Österreich entspricht und den Arbeits- und Lebensbedingungen der Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen gerecht wird. Sie müssen ihren gerechten Lohn bekommen. In diesem Zusammenhang wäre eine offene Diskussion über ein Modell eines Grundeinkommens auch für Künstler:innen und Kulturarbeiter:innen durchaus sinnvoll und interessant.
Hilmar Hoffmann, von 1970 bis 1990 Kulturdezernent der Stadt Frankfurt, stellte damals die Forderung auf, dass jede Kommune zehn Prozent ihres Gesamtbudgets für Kultur investieren soll. In den folgenden Jahren sind zahlreiche Städte dieser Forderung nahegekommen. Derzeit liegt das Kulturbudget des Bundes deutlich unter einem Prozent, bei manchen Ländern und vielen Kommunen ist das Verhältnis nicht viel besser, in Wien liegt es immerhin bei etwa 1,7 Prozent. Die IG Kultur fordert eine Erhöhung auf zwei Prozent. Wo ist die „Zehn -Prozent“ Forderung von Hilmar Hoffmann geblieben?!
Es gibt genug zu tun! Für das „Zukunftsprojekt Kunst und Kultur“ brauchen wir eine starke solidarische Bewegung von Künstler:innen, Kulturarbeiter:innen, Kulturaktivist:innen, Kulturinteressierten und Publikum. Eine Kampagne für einen tatsächlichen Neubeginn!
Man wird ja noch träumen dürfen!!!